Methodische Überlegungen - Geistige Entwicklung

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Methodische Überlegungen

Spirituelles Wissen

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Inhaltliche Aussagen können grundsätzlich nur aus sich heraus und vor dem Hintergrund der konkreten Kommunikationssituation verstanden werden, in deren Rahmen sie gemacht werden.

Der christliche Mystiker Meister Eckehart schrieb: „Gott ist was er ist; und was er ist, das ist mein; und was mein ist, das liebe ich; und was ich liebe, das liebt mich und zieht mich in sich hinein; und was mich also an sich genommen hat, dem gehöre ich mehr an als mir selber. Seht, darum minnet Gott, dann werdet ihr Gott mit Gott" (Eckehart 1973:18). Ein wortgläubiger Christ empfindet diesen Text vielleicht als überheblich oder gar häretisch, ein Psychologe sieht hier einen extremen Narzissmus.

Noch radikaler ist die Aussage
des sufistischen Mystikers Ḣallāğ: „Ich bin Gott" (Gramlich 1998:352) wird von einem Atheisten als Grössenwahnsinn, von einem orthodoxen Muslim als Blasphemie verstanden. Dagegen erläuterte der muslimische Mystiker Rūmī diese Aussage wie folgt: „Rūmī sieht im ‚Ich bin Gott die äussere Demut und Sklavengesinnung und die vollkommene Ausschaltung der Zweiheit bei Ḣallāğ verwirklicht: ‚Als seine Liebe zu Gott den Höhepunkt erreicht hatte, wurde er sein eigener Feind und machte sich zum Nichts. Er sprach: ‚Ich bin Gott. Das heisst: Ich bin entworden, Gott ist geblieben, sonst nichts. Das ist äusserste Demut und das Höchstmass der Sklavenschaft. Es bedeutet: Er ist, sonst nichts" (Gramlich 1998:352). Rūmī argumentiert dabei wie folgt: Bleibe ich bei der Aussage: „Du bist Gott, ich bin dein Sklave“, bleibe ich bei der Zweiheit von „Ich“ und „Er“: „Wer also ‚Du bist Gott sagt oder ‚Er ist Gott, ist in der Zweiheit steckengeblieben. Als wahrer Monotheist sagte Ḣallāğ: ‚Ich bin Gott“ (zitiert nach Gramlich 1998:352).

Diese beiden Beispiele zeigen, dass der Inhalt einer Aussage, eines Textes auf den Textzusammenhang selbst und auf das Umfeld im engsten Sinn zu beziehen ist - alles andere führt zu Missverständnissen und Intoleranz, oder gar Gewalt.

Darum sollten bei jedem Text folgende Prinzipien beachtet werden:
1. Jeder Text spricht zuerst einmal für sich selbst: Jeder Text ist zuerst einmal das, was er aussagt - nicht mehr und nicht weniger.
2. Bei Unklarheiten eines Textes sollte er auf sein direktes, zeitlich-örtliches Umfeld bezogen werden, was die Kommunikationssituation, den Urheber und die Zielpersonen des Textes mit einschliesst.
3. Weltanschauliche, theologisch-dogmatische oder lehramtliche Beurteilungen oder Bewertungen sind meist Folge der kürzeren oder längeren Wirkungsgeschichte eines Textes - und damit sekundär: Sie verstellen den Zugang zum Text eher, als dass sie seine Bedeutung klären.

geistige-entwicklung.ch versteht diese Prinzipien als hermeneutische Methode und fühlt sich ihnen verpflichtet.

Deshalb lassen wir zuerst und vor allem einmal den Text für sich sprechen. In den meisten Fällen wird der Inhalt aus dem Text heraus bereits klar. Kommentare, Paraphrasierungen oder Erklärungen werden nur dann beigefügt, wenn sie für das Verständnis des Textes unbedingt erforderlich sind, oder um zu einem neuen Gedanken überzuleiten.



 
 
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